Bosporus Blues Part 1-6

Der Erste Eindruck, der sich mir beim Besuch der 15 Millionen Metropole am Bosporus tief einprägte, war der Augenblick im Morgengrauen, in dem über die noch ruhende Stadt, Wildgänse in Schwärmen flogen. Da Istanbul den Europäischen und Asiatischen Kontinent verbindet, wählen die Gänse diese Rute auf Ihrem Flug ins Winterquartier. Vor lauter Anstrengung und auch weil es ihre Natur ist, begleitet Flügelschlag und der Singsang ihrer klagenden Laute diesen Flug.

Doch dann gibt es kein Halten, von der asiatischen Seite der Stadt brechen die Pendler entweder über die Autobrücke, oder mit den Fährbooten über den Bosporus auf, um ihrer Arbeit nach zugehen oder zu flanieren…

An allen Ecken werden auf kleinen Wägen Sesamringe oder gebrannte Maronen feilgeboten, die Schuhputzer, Schulkinder in Ihren Uniformen, sowie die offiziellen Menschen mit Schlips und Kostüm bewegen sich wie frisches Blut durch die Adern diese Betriebsamem Organismus. Dabei kommt es ständig zu Engpässen, wie zum Beispiel auf der Galata Brücke, die Altstadt (golden Horn) mit der europäischen Seite verbindet. Gleichzeitig herrscht Hochbetrieb am Brückenrand. Angler entlang der Brückenbrüstung, bestücken ihre Haken mit Ködern. Werfen die, mit Bleigewicht beschwerten Leinen in einer geübten Schwung in die Strömung des Bosporus. In der Morgensonne erscheinen diese Nylonschnüre wie Lichtstrahlen- zum Wasser hin sichtbar.

Nach wie vor spielt sich ein Großteil des Stadtlebens auf dem Fluss ab. Unter großen Medien Interesse wurde auf dem Fähranleger der Galatabrücke eine Ausstellung mit Motiven aus der 800 jährigen Tradition des Sufitanz der Mevlana gezeigt.

Attraktion ist hierbei der Auftritt eines Sufi Ordens, der mit die zu Attatürks Zeiten verbotene Form der religiösen Hingabe, in Form von Musik und Drehtanz präsentierte. Auch auf dem normal verkehrenden Fährdampfer drehten sich die Derwische auf dem Oberdeck im Blitzlichtgewitter der Fotografen und Kameramänner und im Vorabendprogramm berichteten die Nachrichtensender von dieser Rehabilitierung türkischen Kulturgutes.

Um sich eine kurze Auszeit im Gedränge der Stadt zu gönnen, trinkt der die Bevölkerung Istanbuls Chai. Schwarzer Tee aus dem Samowar mit viel Zucker. Zucker in Verbindung mit Nugat, Mandeln, Pistazien und anderen Kombinationen findet eine Ehrfurcht gebietende Fülle in den Geschäften, die sich auf diese Süßspeisen seit langem spezialisiert haben.

Es hat auch etwas mit der osmanischen Lebenseinstellung zu tun. Denn im Sutanahmet dem Wohnsitz der Sultane, Kalifen sowie deren Harem bestand man auf ein versüßtes Leben.

Davon zeugen heute noch die Küchen, die zur Zuberreitung von Baklava und Halva bestimmt waren. In großen schmiedeeisernen Töpfen wurden die Köstlichkeiten zur Geburt oder dem Ableben zubereitet und auf z. T. in China angefertigtem Porzellan serviert. Die eigentümliche Grünfärbung des Geschirrs hatte angeblich den Vorteil, dass sich die Glasur im Fall von vergifteten Speisen verfärbte. Ob es stimmt?

Vielleicht war dies ja auch eine Marketingstrategie aus vergangenen Tagen?

Die Juwelensammlung bezeugt den erlesenen Geschmack und gibt uns eine Ahnung von dem unvorstellbaren Reichtum, den es in der Hochblüte der osmanischen Herrschaft gegeben haben muss. Auch das Sultanahmet selbst, welches zum Regieren und Empfangen gemacht war versprüht den Charme eines vergoldeten Palastraums mit direktem Familienanschluss… Die Gemächer der Haremsdamen, weniger prunkvoll und aber auch nicht bescheiden.

Früher wie heute spielt sich das leben der westlich orientierten Türken und früher der ansässigen Griechen in den Stadtteil „Pera“ ab.

Hier befinden sich all die Geschäfte, mit denen ein luxuriöser Lebensstill in Verbindung gebracht wird und es wird weiterhin gebaut.

Aber auch die kleinen Geschäfte in den Seitenstraßen sind beliebt und ich habe es mir zu Aufgabe gemacht Menschen die mit ihren Läden das Stadtbild prägen zu sprechen und ein Portrait von ihnen zu fotografieren.

Über die Stadt hat sich im Laufe der Jahre eine Schwermut gelegt. Wie die Saudade in Portugal wird dieses Gefühl hier: „Hüzün“ genannt.

Hüzün ist als Melancholie oder Tristesse übersetz worden. Aus dem arabischen stammend ist die Bedeutung ein sich unverhältnismäßiges Hinwenden zu Profit und diesseitigen Genüssen.

Der Sufismus führt den Begriff von der Unzulänglichkeit Gott nahe zu sein her.

Die Einwanderer aus den ostanatolischen Bergdörfern hoffen, dass es für sie besser wird und ihre Kinder durch ein Studium zu mehr Wohlstand gelangen. Die Menschen in Pera hingegen denken wehmütig an die Zeit zurück, als Istanbul noch überschaubar und das Leben in klaren mit Vergnügungen gespickten Tagesabläufen vor sich ging. Als die Menschen noch nicht so viele und so von einer rasenden Wut erfasst waren.

Als die Moderne nur den Unterschied zwischen Eingesessen und Zugereisten Bewohner kannte. Nicht wie heute, da es zwischen Arm und Reich, gebildet und ungebildet, religiös und laizistisch, mit Handy oder ohne, Fundamental moralisch oder exzessiv Lasziv, sowie Web.2 erfahren oder unbeweglich, unterschieden werden kann.

Auch im großen Bazar macht man sich Sorgen. Seit dem 15. Jahrhundert existiert dieser zumeist in Familienhand weitergegeben Generation für Generation.

Auf meine Frage nach der Zukunft des Bazars äußern sich mit einer Ausnahme alle befragten Besitzer von Antiquitäten-, Schmuck-, Flakon-, oder Teppichhändler mit Skepsis.

Am meisten bereitet ihnen die fortschreitende fundamentalistische Islamisierung und die geringer werdende Kaufkraft Probleme.

 

Mit andren Worten: Am Bosporus hat man den Blues.

In den Impressionen über diese lebendige Stadt haben sich für mich die musikalischen Parameter: Dynamik, Stimmungsschwankungen, Agilität, pulsierende Rhythmen und Geschwindigkeit offenbart.

In der Besetzung von Streichorchester und Gitarre (sowohl Nylon- als auch Stahlsaiten) beschreibt Part I die Stimmung am Morgen während des Gänseflugs und den sich im Mevlevi-Kloster drehenden Derwische.

Im Part II beschäftige ich mich mit den angelnden Bewohnern der Stadt, die aus Langeweile, aus Not, aus Disziplin oder weil es einfach schön ist auf das glitzernde Wasser zu schauen und dabei die Sorgen zu vergessen. Hier auf der Galatabrücke zeigt sich Soziologie der Bevölkerung ungeschminkt.

Dem zentralen Kulturerbe der Aya Sofya und das ebenso imposanten Bauwerke der Moschee Sultanahmet Cami sind Gegenstand des Bosperus Blues Part III.

Während die Aya Sufya durch Attatürk zu einer non konfessionellen Museumseinrichtung gemacht wurde, erfreut sich die „Blaue Moschee“ einer großen Beliebtheit bei den Gläubigen.

Im Part IV ist der wehmütige Blick in die Geschichte der osmanischen Vorherschaft erlaubt. All der Prunk und die für damalige Verhältnisse raffinierte Architektur.

Das osmanische Reich wurde immer wieder in seiner lethargischen Seins-weise durch dynamische Perioden der Erneuerung abgewechselt. Somit stellt sich der Vergleich mit einen langsam versiegenden Brunnen, wenn ein Bild zum Verfall des osmanischen Reiches gewünscht ist.

Part V widmet sich der Vielfalt und Fülle des türkischen Lebens und findet auf dem Bazar statt. In dieser Stadt in der Stadt findet sich alles, was die menschliche Existens hervorgebracht hat. Vom Fisch, der in einem kleinen Marmeladenglas schwimmen muss, vom Geschmeide und Tinnif, von fliegenden Teppichen, bis hin zu antiken Stücken aus aller Welt.

Das letzte Stück dieser Serie Part VI stellt sich auf die Menschen, die die Perle am Bosperus bewohnen ein. Hier habe ich mich auf den Taksimplatz (Drehscheibe) gestellt und mir sind die Gesichter dieser Metropole mit ihrem Willen, ihrer Ausdauer und mit ihrer Kompromisslosigkeit unter die Haut gegangen.

In Istanbul sind die Strömungen der weltweiten Globalisierung zu spüren. Die Spannungen und die Unvereinbarkeit der Lebensentwürfe zwingen die Menschen dort einen dynamischen Wandlungsprozess zu durchlaufen.

Blues ist hier also keine gemütliche, träge Stimmung, sondern die Dissonanzen reiche Bewegung zu einer neuen Lösung zwischen Asien und Europa.

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